19. Dezember 2023

StPO: Sicherstellung von Handys ohne richterliche Bewilligung verfassungswidrig

In einer wegweisenden Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof (G 352/2021 vom 14.12.2023) die derzeit bestehende Möglichkeit der Sicherstellung und Auswertung u.a. von Mobiltelefonen im strafprozessualen Ermittlungsverfahren als verfassungswidrig aufgehoben. Der Gesetzgeber hat bis zum 31.12.2025 Zeit, diese Ermittlungsmaßnahmen neu, vor allem aber verfassungskonform zu regeln.

Die Sicherstellung von Mobiltelefonen und sonstigen elektronischen Datenträgern (Tablets, Laptops, USB-Sticks, Festplatten, usw.) ist mittlerweile „standard procedure“ in Wirtschaftsstrafverfahren. Interessant für die Strafverfolgungsbehörden sind nicht nur die am Mobiltelefon aktuell gespeicherten Daten, sondern ermöglicht das Mobiltelefon oftmals auch den Zugang zu extern gespeicherten Daten (z.B. in einer Cloud) und die Rekonstruktion von gelöschten Daten. Die Überwindung von Zugangssperren durch spezielle Software odgl. wird als zulässig erachtet. Nicht überraschend ist daher, dass sich gerade die WKStA bislang gegen die bereits diskutierte Beschränkung der Sicherstellungsmöglichkeiten ausgesprochen hat („Unser Tatort ist das Smartphone“).

Anlass zur konkreten Entscheidung gab die Sicherstellung eines Mobiltelefons eines wegen Untreue Beschuldigten. Dieser Beschuldigte wehrte sich mit Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 StPO) mit Hinweis auf die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme, weil das Mobiltelefon einen uferlosen Zugriff auf Lebensumstände und Lebensgeschichte ermögliche. Das gegen die erstgerichtliche Entscheidung gerichtete Rechtsmittel verband der Beschuldigte mit einem Antrag auf Normenkontrolle (Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit d B-VG), sodass der VfGH die gesetzlichen Grundlagen zu überprüfen hatte.

Für die Sicherstellung des Mobiltelefons genügt bislang jeglicher Anfangsverdacht, d.h. bestimmte Anhaltspunkte, dass irgendeine Straftat begangen worden ist. Achtung: Der Besitzer des sichergestellten Mobiltelefons muss nicht derjenige sein, der der Straftat beschuldigt wird. Eine bestimmte Schwere des Delikts, etwa in Form von Mindeststrafdrohungen, ist nicht vorgesehen. Die Sicherstellung kann von der Staatsanwaltschaft ohne richterliche Bewilligung angeordnet werden, in manchen Fällen darf dies die Kriminalpolizei auch von sich aus. Die richterliche Überprüfung (wie im Anlassfall durch Einspruch wegen Rechtsverletzung) ist stets nachgeschaltet, d.h. zu dem Zeitpunkt befindet sich das Mobiltelefon bereits bei der Strafverfolgungsbehörde und wird in der Regel auch schon ausgewertet.

Der Verfassungsgerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die derzeitigen Bestimmungen nicht ausreichend Sorge dafür tragen, dass die Schwere des konkreten Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz gemäß § 1 DSG und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK (durch Sicherstellung und Auswertung sämtlicher am Mobiltelefon bzw. über externe Dienste vorhandenen Daten) nicht das Gewicht und die Bedeutung der mit dem Eingriff verfolgten Ziele übersteigt. Ebenso fehlt eine entsprechende Eingriffsschranke hinsichtlich der Verarbeitung besonders schutzwürdiger Daten gemäß § 1 Abs. 2 zweiter Satz DSG (z.B. Gesundheitsdaten). Denn ganz im Gegenteil erlangen die Strafverfolgungsbehörden durch die unbegrenzte Möglichkeit der Sicherstellung und Auswertung Zugang zu sämtlichen lokal oder extern gespeicherten Daten (Fotos, Videos, Standortdaten, Suchverläufe, Gesundheitsdaten, usw.) und können damit umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen, sämtliche Kommunikationsvorgänge rekonstruieren, auswerten und systematisieren sowie Analysen auch dort erstellen, wo konkrete Daten nicht vorhanden sind. Dieser besonderen Intensität der Grundrechtseingriffe wird durch die derzeitigen Regelungen (§§ 110 Abs. 1 Z 1, 111 StPO) nicht Rechnung getragen. Der notwendige wirksame Rechtsschutz, den sowohl Art. 8 EMRK als auch § 1 DSG erfordern, besteht in einer vorhergehenden richterlichen Bewilligung. Der derzeit vorhandene Rechtsschutz für Betroffene ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshof jedenfalls nicht ausreichend.